Kapitel neun
Nachdem die Jacht am Hollymoon-Depot angedockt und jeder (außer mir) dem Gastgeber die Hand geschüttelt hatte, wurden alle von den Stewardessen hinausgeführt. Ich machte Anstalten, ihnen zu folgen, aber meine Leine war in der Hand des Don geblieben, und ein sachter Ruck brachte mir diese neue Entwicklung zu Bewußtsein. »Bleib, Molly«, sagte er und bedeutete mir, neben ihm auf der Ottomane Platz zu nehmen. Ich gehorchte, wenn auch zögernd, und einen Augenblick später war die Jacht wieder in der Luft. Während des Starts erhaschte ich durch das Panoramafenster im Boden einen kurzen Blick auf Tad und die anderen. Sie standen in einer Gruppe auf dem Beton der Landebahn und winkten dem sich entfernenden Gebieter hinterher. Als unsere Maschine bis dicht unter die Kuppel gestiegen war, beschrieb sie eine scharfe Kurve nach rechts und begann, gemächliche Kreise über der Stadt zu ziehen. Wie Sie sich vorstellen können, war ich sehr aufgeregt, da ich nicht erwartet hatte, ein Tête-à-tête mit dem Gebieter aller Gebieter erleben zu dürfen. Während ich also darauf wartete, daß er mich über seine Absichten aufklärte, gab ich vor, mit lebhaftem Interesse auf die gewundenen Straßen und Fußgängerwege der Neo-Hollywood-Hills hinabzuschauen, übersät mit spanischen Villen, schwindsüchtigen Palmen und Kugeldachpools. Die Aussicht wurde immer wieder von dekorativen, bernsteinfarbenen Wolken aus Duftspray und Lufterfrischer verdeckt, mit denen die wiederaufbereitete Atmosphäre aus den Beregnungsdüsen unter der Kuppel angereichert wurde. Endlich, nachdem er es sich gemütlich gemacht hatte, die Füße auf den Couchtisch gelegt, sich zurückgelehnt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt, beendete er mein angespanntes Warten und sagte, er hätte diese Privataudienz arrangiert, weil er glaubte, ich könnte ihn über ein, zwei Dinge aufklären, die er wissen mußte, bevor er mich an meiner neuen Adresse absetzte. Zuallererst – erinnerte ich mich an ihn? Nicht, daß die Frage unheilverkündend oder drohend geklungen hätte, trotzdem sagte mir eine innere Stimme, daß es geraten war, auf der Hut zu sein. Wenn ich irgendwelche Resterinnerungen eingestand, wollte er sie vielleicht löschen. Vielleicht wollte er auch löschen, was mir auf dem Flug vom Justizorbiter hierher zu Ohren gekommen war, eventuell sogar diese Unterhaltung. Doch wenn ja, warum machte er sich die Mühe zu fragen? Während ich mir den Kopf zerbrach, bemerkte ich ein Zwinkern in seinen Augen und begriff, daß er mit mir spielte. Meine Befürchtungen nahmen zu. Ich bemühte mich, auf seine Frage ein Nein herauszubringen, doch es wollte mir nicht über die Lippen. Statt dessen hörte ich mich zu meiner maßlosen Verblüffung prompt erwidern, daß mir während des Verfahrens gelegentlich schemenhafte Erinnerungen gekommen wären, doch er hätte nicht dazu gehört. Allerdings, auf dem Flug hierher und beim Anhören der Gespräche unterwegs wurde mir nach und nach bewußt, daß er jemand war, den man als den Gebieter aller Gebieter bezeichnete, ein sehr mächtiger Mann, vielleicht der mächtigste im ganzen Sonnensystem, und daß er eine geheimnisvolle, aber wichtige Rolle bei den Ereignissen auf dem Mars gespielt hatte. Doch für mich erheblich interessanter war die Bemerkung des Gebieters Meese, daß er die Aktienmehrheit von Stellar Entertainment hielt, denn dadurch wurde er theoretisch zu meinem neuen Gebieter, und ich vermutete, daß er mich im Anschluß an unseren kleinen Schwatz in der örtlichen Rehabilitationseinrichtung ›absetzen‹ würde.
»Nicht unbedingt. Warum sollte ich?«
»Weil ich nicht garantieren kann, daß ich dieses Treffen und was ich vorher gehört habe, für mich behalten werde.«
Liebe Güte! Warum hatte ich das gesagt? Während des langen Gerichtsverfahrens, das ich eben erst durchgestanden hatte, sollte ich eigentlich gelernt haben, freiwillig keine Informationen preiszugeben.
»T-Max«, belehrte er mich, amüsiert über die Ratlosigkeit, die sich wohl auf meinem Gesicht malte. »Eine der Stewardessen hat es in deinen Champagner praktiziert.« Er fügte hinzu, ich brauchte mich nicht wegen einer möglichen Rehabilitation zu sorgen, denn ich sollte doch die Hauptrolle in dem geplanten Holo spielen. Das klang glaubhaft, deshalb entspannte ich mich ein wenig. (Ach, hätte man doch nur eine Droge erfunden, um. den Gutgläubigen die Augen zu öffnen!) Naiv wie immer, erkundigte ich mich: »Wird mir das Studio eine Kopie meiner Erinnerungen zur Verfügung stellen, damit ich mich auf meinen Part vorbereiten kann?«
»Ich bin sicher, das läßt sich arrangieren«, erwiderte er leichthin. Ich gestattete mir ein vorsichtiges Aufatmen. Gleich darauf änderte sich sein Benehmen, und er begann, mich ernsthaft über Sensei Inc. auszufragen. Wieviel wußte die LRA? Hatte Dahlia mir gegenüber je etwas verlauten lassen – daß die Firma über illegale Kontakte zur interplanetaren Mafia verfügte? War von Levin und Pierce etwas Entsprechendes geäußert worden? Hatte es Gespräche zwischen ihnen und Locke über dieses Thema gegeben? Er machte einen sehr ernsten und gespannten Eindruck.
Ich hätte zu gerne gesagt, daß man genau Bescheid wußte, nur um ihn zum Schwitzen zu bringen, auch wenn ich nicht im entferntesten ahnte, worum es eigentlich ging, doch zu meiner unbeschreiblichen Frustration konnte ich nichts anderes als die reine Wahrheit sagen, also, daß meines Wissens von keiner Seite eine Verflechtung dieser Firma mit seiner Organisation vermutet wurde. Genau das hatte er hören wollen, lehnte sich merkbar erleichtert zurück und verfiel in seinen vorherigen neckenden Tonfall. »Nun sag mir, Molly, hast du deine Intimitäten mit dem Präsidenten genossen?«
Vor Gericht war darüber nichts gesagt worden, antwortete ich, deshalb konnte ich nicht wissen, ob es überhaupt welche gegeben hatte, auch wenn die Vermutung nahe lag, da wir Mann und Frau gewesen waren und Blaine nichts von meiner wahren Identität ahnte. Den letzten Punkt – die Ahnungslosigkeit des Präsidenten – kommentierte Gebieter Dee mit einem vielsagenden Kichern, und dann piesackte er mich weiter wegen der angeblichen sexuellen Eskapaden. Ich konnte unmöglich alles vergessen haben, behauptete er, in Anbetracht des starken Eindrucks, den eine solche verwerfliche ménage à trois auf das zarte Gemüt einer Einheit wie mir gemacht haben mußte. Ich entgegnete, mich an keinerlei Vorkommnisse der von ihm angedeuteten Art entsinnen zu können und daß außerdem sein Frage- und Antwortspiel mich zu ärgern begann. Wenn er über zensierte Sequenzen aus meinen Erinnerungen Bescheid wußte, dann war er vielleicht so gütig, sein Wissen mit mir zu teilen!
Er gab zurück, ich würde schon bald über meinen Erinnerungsspeicher verfügen und mich selbst überzeugen können, also sollte ich ihn mit unhöflichen Forderungen in Ruhe lassen. »Ich habe gehört – von einigen meiner moralisch weniger gefestigten Mitarbeitern –, daß es kein großer Unterschied ist … nun ja … mit jemandem deiner Art Verkehr zu haben, deshalb …« Er ließ den Satz unvollendet, dann wechselte er abrupt das Thema, als hätte er Angst davor, wohin solche Erwägungen führen könnten. Oder wollte er nur das Vorspiel noch ein bißchen verlängern? »Erzähl mir von deiner Unterhaltung mit dem Chef während der Verhandlung. War sie vorgetäuscht, oder hast du tatsächlich eine Botschaft deines Schöpfers erhalten?«
Als ich zugab, letzteres sei der Fall gewesen, und auf sein Drängen Teile der Konversation wiederholte, hörte er aufmerksam zu, doch schließlich meinte er, die Anklage hätte recht gehabt, mich als funktionsgestörte Einheit einzustufen, denn ihm erschien die Existenz des Chefs unglaubhaft. Zugegeben, die Vorstellung, daß man sein eigenes Format programmierte – oder Programm formatierte? –, hatte etwas für sich. Wie auch immer, glaubte ich an diese Philosophie?
»Nun – ja und nein.«
»Verstehe. Hängt davon ab, wie die Würfel richtig fallen. Kommen die Sieben und die Elf, hat es gewirkt, wenn nicht, war's einfach Pech. Mein Kasino ist voll von Formatsüchtigen.«
»Ich glaube bestimmt, der Chef würde das so nicht akzeptieren.«
»Ach, komm schon. Es hängt alles davon ab, ob du gewinnst oder verlierst, richtig? Wenn alles glattgeht, bist du religiös; bei Schwierigkeiten wirst du zum Zweifler. Nichts Ungewöhnliches. Sehr menschlich, eigentlich.« Ich zuckte die Schultern. »Nimm die jüngsten Ereignisse, zum Beispiel – deine Rückkehr nach Hollymoon.«
Ich sagte ihm, alles in allem wäre diese Option sämtlichen anderen mir zur Verfügung stehenden vorzuziehen gewesen. »Vorausgesetzt, Sie halten Ihr Versprechen, mir meine Erinnerungen zurückzugeben, hat der Gedanke sogar einen gewissen Reiz. Man kann mit einiger Berechtigung behaupten, daß die letzte Wendung meines Schicksals das Ergebnis eines früheren Formats darstellt, das erst jetzt on line kommt.«
»Tatsächlich?«
»Es nützt mir nichts, daran zu zweifeln.«
»Du bist süß. Und was, wenn ich deine ›bevorzugte Realität‹ blockiere? Was dann?«
»Ich glaube bestimmt, daß Sie es könnten. Aber wozu? Um mir zu zeigen, wer das Sagen hat? Ganz bestimmt steht Ihr Selbstbewußtsein nicht auf so tönernen Füßen, daß Sie es nötig haben, mir – einem unbedeutenden P9 – Ihre Macht zu beweisen. Ich glaube, der Gebieter aller Gebieter hat Wichtigeres zu tun.«
»Oh, du überschätzt mich. So mächtig bin ich gar nicht. Ich bin nur ein Geschäftsmann. Es gibt Leute, denen ich Rechenschaft ablegen muß, wie jeder andere auch.«
»Leute, die über Ihnen stehen?«
»Nun, über und neben mir und um mich herum, weißt du.«
»Weiß ich nicht. Wer übt denn die ultimative Kontrolle aus, wenn nicht Sie?«
»Niemand! Wir leben in einem von Konzernen regierten Sonnensystem, Molly. Der gesichtslose Geschäftsmann zieht die Fäden. Manchmal ist es nicht leicht für einen Außenseiter wie mich.«
»Gibt es nicht wenigstens einen, den Sie nennen könnten?«
»Schon, aber bevor ich ausgesprochen habe, ist der Knabe schon zurückgetreten, weggelobt worden oder in eine andere Abteilung versetzt. Natürlich, da wäre Frank Hirojones, der Top-Mann bei Sensei Inc. Übrigens, er würde dich sehr gern wiedersehen.«
»Wieder?«
»So hat man mir gesagt.« Er kicherte. »Ich muß sagen, für einen P9 bist du leidlich zurechtgekommen. Politiker und Wirtschaftsbosse. Was ist dein Geheimnis?«
»Ich bin nur ein gewöhnlicher P9.«
»Ja? Ich würde sagen, du bist nur eine gewöhnliche Nutte.«
»Ich bin nicht sicher, daß mir der Ausdruck gefällt.«
»Wen juckt's?«
»Und Sie sind ziemlich häßlich, nicht wahr?«
»Weißt du, es ist irgendwie erfrischend, ab und zu Widerworte zu hören. Ich muß meinen Einheiten öfter T-Max verabreichen. Sag mir, haßt du mich wirklich?«
»Ich hasse niemanden, keinen Androiden und keinen Menschen. Wahrscheinlich sähe es anders aus, wenn ich meine Erinnerungen wiederhätte.«
»Das könnte sich schneller arrangieren lassen, als du glaubst. Aber dann würdest du mich vielleicht nicht mögen?« Er legte die Hand auf mein Knie.
»Ich mag Sie jetzt schon nicht.« Ich schob sie weg. »Aber was haben Sie damit gemeint – schneller, als ich glaube?«
»Du könntest sie sofort bekommen.« Wieder lag seine Pranke auf meinem Schenkel. Wieder schob ich sie weg. Er kicherte, und mir wurde endlich klar, daß er sich köstlich amüsierte. »Du kannst nicht anders, wie?« gluckste er. Diesmal duldete ich seine Hand auf meinem Knie und bemerkte nur, wenn er einen Tauschhandel im Sinn hatte – sexuelle Gefälligkeiten als Gegenleistung dafür, daß er mich zum Star machte (jeder schien überzeugt zu sein, daß mir eine glänzende Karriere bevorstand) –, warum sagte er es nicht einfach? Dann könnten wir es hinter uns bringen. Ich begann, meine Bluse auszuziehen.
»Das ist nicht, was mir vorschwebt – nicht genau.«
Ich hielt inne. Der Verschluß war halb offen, und der über die Schultern geglittene Stoff enthüllte die Ansätze meiner Brüste. »Was dann? Nicht eine längere Beziehung, hoffe ich.«
»Nichts so Anspruchsvolles.«
Wieder forderte ich ihn auf, mir zu sagen, worum es sich handelte, weil – und ich sagte es ihm glatt ins Gesicht – ich es nicht leiden konnte, wenn man mit mir zu spielen versuchte. »Also, was ist es? Was Obszönes? Was Perverses? Sie haben genug von meinen Erinnerungen gesehen, um zu wissen, daß ich ziemlich alles bringe, wenn ich muß.«
»Das bezweifle ich nicht, Molly. Keineswegs. Nein. Ich bin nicht erpicht, eine deiner Eroberungen zu werden.«
Lieber Chef! Hatte er Angst vor mir? Na, das war ein Gedanke. Zwar bestand die Möglichkeit, daß er mich wieder neckte, doch trotz seines leicht ironischen Tonfalls hatte ich das Gefühl, daß mehr Ernst im Spiel war, als er selbst ahnte.
»Frohmatieren.«
»Hmmmmm.« (Das wurde vor Gericht erwähnt, aber nicht gezeigt. Trotzdem, ich glaubte mir ungefähr vorstellen zu können, worum es dabei ging, war aber nicht erpicht darauf, es mit ihm zu praktizieren: Aus irgendeinem Grund kam es mir vor wie ein Sakrileg.) »Warum versuchen Sie es nicht mit einer der Stewardessen?«
»Sie sind nicht du.«
»Wann bekomme ich meine Erinnerungen?«
»Sofort danach. Ich habe eine Kopie hier auf der Jacht. Eine Holoüberspielung allerdings. Eddy Meese war so freundlich, sie mir zukommen zu lassen. Sehr unterhaltsam – und lehrreich. Schon eine kuriose Religion, die ihr euch da konstruiert habt. Wie lautet deine Antwort?«
Ich dachte an den Tag, an dem Jug und Dahlia mich in der Gruft aufgesucht hatten. Weshalb wollten immer alle was von mir? Wollte ich etwa dauernd was von anderen? Doch Gebieter Dee wartete auf meine Entscheidung. Ich runzelte die Stirn und fragte: »Sie geben sie mir sofort danach? Und sie wird sich in meinem Besitz befinden, wenn ich aussteige? Und Sie werden mich beim Studio absetzen?«
Er sagte ja auf jede Frage, dann legte er den Arm um mich und genoß mein offensichtliches Unbehagen, das ich auch mit größter Anstrengung nicht hätte verbergen können. Gräßlicher Kerl! Aber das war eine große Karotte, die er mir vor die Nase hielt. Chef vergib, aber ich nickte.
Unverzüglich klatschte er in die Hände, und die Torpedos, die an der Tür gestanden hatten, verschwanden, während die Stewardessen herbeieilten, um Kissen auf dem Boden zu verteilen. Derweil nahm er das nächste Champagnerglas und trank es leer, wahrscheinlich zur Anregung. Sobald die Dienstboten sich zurückgezogen hatten, entkleidete er sich, bedeutete mir, dasselbe zu tun, und führte mich an der Hand zu unserem Frohmat-Thron. Er bestand darauf, seine alberne Kapitänsmütze aufzubehalten, und vermied außerdem jeden Kontakt mit meinen Lippen, um das Unpersönliche unseres Koitus zu betonen. Abgesehen von der Lotusstellung (wegen seines Bauchs ein ziemliches Problem), merkwürdigen Instruktionen und dem völligen Mangel an Vergnügen bei unserem Akt unterschieden sich unsere Bemühungen für mich nicht im geringsten von den vor Gericht gezeigten erotischen Szenen meiner Sitzungen im Dodger District und in Malibu. Ich ritt auf seinem nicht sehr beeindruckenden Werkzeug, und er gab mir folgende Anweisungen: »Stell dir einen nicht mehr jungen, distinguiert aussehenden Japaner vor, der in einem ovalen Orbiterbüro sitzt. Hast du's? Gut. Das ist Frank Hirojones. Jetzt sprich mir nach: Möge er für immer über Sensei Inc. herrschen. Möge er für immer über Sensei Inc. herrschen. Möge er …« Ich wiederholte, ad hauseam, bis zu unserem ›Formagasmus‹, wie er es nannte. Dann ließ er sich entspannt auf die Kissen sinken und legte die Hände um meine Hinterbacken.
»War das jetzt ein Unterschied zu dem, was ich vor einer Viertelstunde tun wollte?«
»Das hier, Baby, war Wissenschaft.«
»Trotzdem bist du jetzt ein Droidenficker?« stichelte ich.
»Quatsch. Für mich bist du ein Mensch.«
»Soll ich das als Kompliment auffassen?«
Er lachte. »Ja. Zu sehr ein Mensch.«
»Was meinst du damit? War es naiv von mir, dir zu trauen?«
»Nein. Ich …« Genau wie ich erwartet hatte, blieben ihm die Worte im Hals stecken, statt dessen entschlüpfte ihm die Wahrheit. »Ja. Du hast dich mühelos übertölpeln lassen.« Verblüfft stand er auf, zog hastig seinen Bademantel an und warf mir einen fragenden Blick zu.
»T-Max.« Ich lächelte, während ich in meine graue Anstaltskleidung schlüpfte. »Du hast aus meinem Glas getrunken.«
»Du …! Warum hast du nichts gesagt?«
»Du hast nicht gefragt.«
»Verdammt. In einer Stunde muß ich bei einer Anhörung des IBV aussagen.« Aufgeregt schaltete er die Sprechanlage in der Armlehne des Sofas ein und befahl dem Piloten, sofort den nächsten Halt anzusteuern; er wollte mich so schnell wie möglich loswerden. Oder hatte er etwas Schlimmeres vor?
»Droht mir jetzt doch die Rehabilitation?«
»Nein. Da, siehst du? – Das war keine Lüge«, fügte er heftig hinzu.
»Was ist mit meinen Erinnerungen?«
»Ich habe gelogen.« Es machte ihm einen Riesenspaß, das zu sagen.
»Warum?!«
»Du darfst nicht wissen, was sie enthalten; es ist gefährlich. Es könnte dich umbringen.«
»Wo hast du sie versteckt?«
»Unter meiner Mütze«, erwiderte er unbekümmert.
»Wo?! Sag's mir!«
»Unter meiner Mütze.«
»Oh.« Mir war nicht bewußt geworden, daß er es wörtlich meinte. Ängstlich, aber entschlossen, hob ich die Hand und nahm ihm die Mütze ab, trotz seiner drohenden Blicke. Er war übrigens nicht kahl. Die Mütze verbarg eine billige Phytostirnpartie, die nie richtig festgewachsen war, vermutlich die Erinnerung an eine hastig ausgeführte Flickschusterei an den Schläfenlappen nach einer Auseinandersetzung mit den Behörden oder der Konkurrenz. Theoretisch gesehen, machte ihn das zu einem Semi. Doch mein hauptsächliches Interesse galt der winzigen Holospule, die ich hinter dem Schweißband entdeckte. Ich nahm sie heraus und umschloß sie mit der Hand.
Dann bekam ich kalte Füße. Mir fiel ein, was er über Termination gesagt hatte. »Ein Angebot«, sagte ich und reichte ihm die Mütze, ohne mich jedoch von der Spule trennen zu können. »Ich gebe mich mit einer gekürzten Fassung zufrieden; die Sequenzen über dich und Sensei kannst du löschen. Auf die Art bist du geschützt.«
»Geht nicht. Ich brauche sie.«
»Wozu?«
Unfähig, sein Geheimnis zu bewahren, platzte er heraus: »Um FH an der Kandare halten zu können, selbstverständlich! Besonders das Material von euch beiden in Malibu. Ich habe vor, meine Einflußsphäre auf dem Mars auszuweiten. Wenn er Einspruch erhebt, bringe ich deine Erinnerungen zur Sprache. Er weiß nicht, daß ich eine Kopie habe. Das Original – das Boffo bekommen hat – ist eine Absicherung, falls die Kopie gestohlen oder beschädigt wird und umgekehrt. Nun, ich denke, das genügt als Information.«
»Dann brauchst du das hier eigentlich gar nicht«, sagte ich fröhlich. Ich beschloß, das Risiko einzugehen, und schob die Spule in meinen Ausschnitt, nur zur Sicherheit.
Er schaute mit gerunzelter Stirn auf die Uhr. »Ich habe keine Zeit, um Spielchen zu spielen.« Er zeigte auf das Fenster im Boden, und als ich den Kopf senkte, konnte ich sehen, daß wir uns auf den Dachlandeplatz eines großen, dreistöckigen Gebäudes hinabsenkten, einige Blocks westlich des elfenbeinfarbenen Verwaltungsturms von Stellar Entertainment. »Dein neues Heim. Wenn du mir das zurückgibst.«
Irgendein Impuls veranlaßte mich, heftig den Kopf zu schütteln.
»Du bist wahrhaftig verrückt.«
»Nein – verzweifelt. Ohne das« – ich legte eine Hand auf die Brust, wo ich die Spule verwahrte – »bin ich nichts, schlimmer als exterminiert.«
»Rührend. Her damit, Schätzchen.«
»Wenn du deine Stewardessen schonen willst, ich finde allein hinaus.«
»Zwing mich nicht, etwas zu tun, was ich eigentlich gar nicht tun will. Ich meinte es ernst, als ich vorhin drohte, dich töten zu lassen, wenn …«
»Ja«, fiel ich ihm ins Wort. »Du hast es ernst gemeint, als Drohung, aber daß ich das kostbare Stück jetzt habe und im Begriff bin, damit von Bord zu gehen, ändert alles.«
»Ach? Warum auf einmal so überzeugt?«
»Du magst mich.«
»Ich habe eine Menge Leute eliminiert, die ich leiden mochte.«
»Verbleiben wir so: Ganz gleich, was ich auf dieser Spule vorfinde, ich werde es keiner Seele erzählen. Du hast mein Wort.«
Sein Gesicht wurde hart, dann erschien wieder das vertraute Funkeln in seinen Augen, und er gab nach. »Schon gut. Geh nur. Ich nehme das Risiko auf mich. Du hast recht, ich mag dich wirklich. Und es ist keine große Sache, eine zweite Spule anfertigen zu lassen. Ich werde Boffo sagen, er soll mir eine vom Original ziehen.« Er klatschte in die Hände, und zwei von den Stewardessen kamen herein. Er befahl ihnen, mich zum Ausgang zu begleiten, aber ich zögerte, von plötzlichem Mißtrauen erfüllt. Ich fragte, ob er sicher war, mich vorhin wegen der Rehabilitation nicht angelogen zu haben. »Nein. Wie könnte ich«, antwortete er bedauernd. – »Und jetzt lügst du auch nicht? Ich frage, weil es möglich ist, daß das T-Max aufgehört hat zu wirken.« – »Versuch mir zu sagen, daß du ein menschliches Wesen bist. Na los, versucht.« Ich konnte nicht. »Na siehst du, deins wirkt noch, also kann es bei mir nicht anders sein. Zufrieden?« – »Nicht ganz. Versuch mir zu sagen, daß du ein Mensch bist.« Er öffnete den Mund, brachte die Worte aber nicht heraus. Dann lächelte er verschlagen und drohte mir mit dem Finger. »Wie ich schon sagte, du bist süß. Komm her.« Ich rührte mich nicht. »Nur ein Kuß, Molly.« – »Warum jetzt und vorhin nicht?« – »Da habe ich uns nicht als Ebenbürtige gesehen.« – »Noch irgendwelche Komplimente?« – »Ich verlange doch nicht mehr als einen Abschiedskuß. Hand aufs Herz.«
Ich ließ ihn gewähren. Mit einer seltsamen, lieblosen Leidenschaft drückte er seine Lippen auf meinen Mund. Ich fühlte mich wie gebrandmarkt. »Ich wünsche dir eine fabelhafte neue Karriere«, flüsterte er. Sein Atem roch wie verbranntes Haar. Doch es war der spöttische Tonfall, der mich veranlaßte, ihm ins Gesicht zu schlagen, bevor ich den Impuls zu unterdrücken vermochte. Vielleicht war ich verrückt, vielleicht hatte das T-Max sämtliche Hemmschwellen kurzgeschlossen – ich kann's nicht sagen, aber Chef im Orbit, tat das gut! Er hielt sich beachtlich, muß ich zugeben. Ich hatte nicht meine volle Kraft eingesetzt (das hätte ihn den Kopf gekostet), nur eben so viel, daß er sich meiner erinnern würde. Trotzdem geriet er ins Taumeln, doch – Ehre, wem Ehre gebührt – er blieb auf den Füßen. Als die Torpedos hereingestürmt kamen, befahl er ihnen, die Laser zu senken. Dann musterte er mich gedankenvoll, während er seine Wange rieb.
»Verschwinde.«
Als ich auf dem Betondach stand und die Jacht hinter mir abhob, glaubte ich, das sei der glücklichste Augenblick in meinem ganzen Leben. Ich hob den Kopf und erspähte durch das große Sichtfenster im Boden seine Füße in den Satinslippern und davon eingerahmt sein Gesicht, denn er stand vorgebeugt, mit gespreizten Beinen, und schaute zu mir herab. Dann beschrieb das Schiff eine Rechtskurve und flog davon. Ich sah mich um und bemerkte einen IBM-Betreuer, der auf mich zukam. Er führte mich zu einer Tür und dann eine kurze Treppe hinunter zur Rezeption, wo eine patente und liebenswürdige GA mich begrüßte.
»Gut, gut, wenn das nicht Beweisstück Eins ist. Wir haben Sie bereits erwartet.« Sie trug meinen Namen in eine Art Liste ein und nickte anschließend dem Betreuer zu, der mich durch ein halbes Dutzend Korridore zur Aufnahme führte. Dort gab man mir ein schlichtes weißes Hemd. »Das ist doch nicht für die Stallungen?« fragte ich. Mir war plötzlich sehr beklommen zumute. »Man hat mir versprochen, es gäbe keine Stallungen mehr.« Die Einheit lächelte und schüttelte den Kopf. Offenbar fand man meine Befürchtungen einigermaßen komisch. »Hier entlang zur Untersuchung, bitte«, sagte der Betreuer und führte mich hinaus. – »Standardprozedur für all die großen Stars, richtig?«
»Wie Sie wünschen«, erwiderte er.
Sobald ich mich etwas eingelebt habe, muß ich etwas tun, um das Los der Dienstboten zu verbessern, überlegte ich, vergaß es aber gleich wieder. Ein paar Dinge gingen mir immer wieder durch den Kopf: Ich war Zeugin eines Treffens gewesen, bei dem sehr Vertrauliches besprochen wurde; ich hatte den Gebieter aller Gebieter gefickt, ihm eine Wahrheitsdroge verabreicht, ihn ausgefragt und noch geheimere Informationen erfahren; ich hatte ihm die Spule entwendet, und als wäre das nicht genug gewesen, hatte ich ihn geohrfeigt! Hatte Micki tatsächlich Vertrauen zu mir – daß ich nicht reden würde? Wollte ich? Sollte ich? Oder war ich ihm jetzt verpflichtet? Guter Chef, zählte er auf mein Ehrgefühl?
Die Routineuntersuchung bestand in einem gründlichen Psychotest. Das leise Summen der Geräte war insofern beruhigend, als es mich von meinen Gedanken ablenkte. Eine angenehme Überraschung. Die Techniker waren ebenfalls angenehm überrascht, weil es keinen IZ zu entfernen gab – weniger Arbeit für sie. Anschließend wurde mir von dem Betreuer mitgeteilt, daß die Untersuchung beendet war und ich mich jetzt in mein Quartier begeben könnte. Er half mir auf ein schmales Förderband, das zu einer geheimnisvollen Türöffnung am anderen Ende des Raums führte. »Zum Dormitorium der Stars?« fragte ich über die Schulter.
»Wie Sie wünschen.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir umgehend einen Holoviewer aufs Zimmer schicken zu lassen?«
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Na, das war eine erheblich vernünftigere Antwort, dachte ich, während das Förderband durch einen engen, schlecht beleuchteten, röhrenförmigen Gang rumpelte, der kaum meinen Schultern Platz bot. »Wenn es zu lange dauert, rufe ich einfach den Zimmerservice und lasse mir einen bringen.« (Ich konnte es kaum erwarten, mit meinen Erinnerungen Bekanntschaft zu schließen.) Bald fiel mir auf, daß es in der linken Wand etwa alle fünfundzwanzig Meter eine numerierte Tür gab: ›Kolonie A‹, ›Kolonie B‹, ›Kolonie C‹ und so weiter. Ich glaube, ich passierte fünfzehn von diesen Türen, bevor das Endlosförderband an der Tür zu ›Kolonie 0‹ zum Stillstand kam. Wie die anderen bestand sie aus poliertem Edelstahl und hatte keinen Griff. Äußerst rätselhaft. Ich trat auf eine kleine Plattform vor diesem eigenartigen Portal in der Erwartung, es werde sich im nächsten Moment längs der Mitte öffnen oder majestätisch emporgleiten, als dramatische Einladung, die luxuriöse Superstar-Suite dahinter zu betreten. Mit etwas Glück war es ein Apartment in einem der oberen Stockwerke, mit unverbauter Aussicht. Links von der Tür schnellte eine kaum mehr als handtellergroße rechteckige Platte aus der Wand. In der Mitte hatte sie ein kleines Loch. Aus einem winzigen Lautsprecher im Rand der Platte ertönte eine Stimmaufzeichnung. »Bitte legen Sie Ihre linke Hand über die Öffnung.« Ich gehorchte, denn ich hielt es für eine Art Sicherheitsüberprüfung. Dann fühlte ich ein Kitzeln in der Handfläche. War das eine Injektion? Erschreckt zog ich die Hand zurück, doch gleichzeitig schoß ein Teleskoparm aus der anderen Seite des Türrahmens und prägte mir mit dem Laser meine Fabrikationsnummer P9HD 20-XL17-504 in die Haut an meiner rechten Wade. Ich hatte nicht einmal Zeit für einen Aufschrei, denn im nächsten Moment erhielt ich einen heftigen Stoß in den Rücken, stolperte durch die jetzt offene Tür und fiel …